Montag, 22. Juni 2015

"Späninger Köttbullar" oder "Vätternrundan 2015"


Die größte Rundfahrt der Welt begann für mich mit einer Fahrt von der Altmark an die See - natürlich auf dem Rad. Sonne, Wind und das schöne Mecklenburg-Vorpommern ließen die Vorfreude auf Schweden steigen. 




Und ehe ich mich versah, saß ich bei Marian vor einem großen Teller Nudeln. Wie die Heuschrecken fraßen sich Basti und ich durch die Vorräte des Exil-Späningers und gestärkt ging es auf die Fähre durch die Nacht.



Tag 1, Donnerstag; along the road

450 Kilometer durchs schwedische Outback, immer gerade aus auf der Autobahn.




Mittag dann der erste Blick auf den zweitgrößten See des Landes. See, See und noch mal See bis zum Horizont. In Motala richteten wir uns auf dem Campingplatz ein.



Startunterlagen und Messe lockten uns in die Stadt. Shoppen! Inzwischen kamen auch Stefan und Julia in Motala an. Unsere Nachbarn hatten eine noch weitere Anreise. Aus dem Ilm-Kreis und dem Münchner Umland kamen Radbegeisterte nach Motala. Der Tradition wegen leerten wir gleich am ersten Abend die erste Flasche Pfeffi. Und die Sonne wollte nicht untergehen. Typisch Schweden, auch die Mücken wollten nicht ins Bett.



Tag 2, Freitag; Warten

Während Stefan und Julia noch Startunterlagen abholten, erkundeten Basti und ich die Stadt per Rad. Noch schnell shoppen auf dem Veranstaltungsgelände und wir fuhren durch das für Radfahrer super ausgebaute Motala. Der Triathlet in mir wollte natürlich auch ins Wasser und so schwamm ich noch eine kleine Runde im bitterkalten Vättern.










Wer das größte Radrennen der Welt fahren will, kann da nicht einfach so antreten. Viele Regeln, vor allem für die Nachtfahrt, machen aus einem Radtreffen für Jedermann ein unvergessliches und sicheres Erlebnis. Also schmückten auch wir unsere Räder wie die Weihnachtsbäume mit Licht und Reflektoren. Letzte Tipps holten wir uns noch kurzfristig von unseren Wohnmobil-Nachbarn aus dem Ilm-Kreis, welche schon dreimal die Rundfahrt mitgemacht haben. 


Derweil die Räder fertig am Campingmobil standen, kribbelte es in unseren Fingern und Füßen. Die Sonne lachte am Abend und wir wollten starten. Doch es hieß warten bis in den frühen Morgen. Ein kurzes Nickerchen tat gut, aber am liebsten wären wir schon längst auf der Strecke gewesen, um das tolle Wetter zu nutzen. 

Zum Abendessen gab es wieder reichlich Pasta. Das endlose Warten minderte es nicht. Immer mehr Radfahrer verließen den Campingplatz und machten sich auf den Weg zum Start. Ein weiteres Nickerchen konnten bei diesem Anblick nur Basti, Stefan und Julia genießen. Bis 0 Uhr hielt mich das Treiben um mich rum wach. Wenn die Augen nicht zu gehen, dann eben weiter vorbereiten - mit reichlich Kaffee.


Tag 3, Samstag; Die Tour

Gegen 1 Uhr fuhren wir mit unseren schnellen Weihnachtsbäumen in die Stadt zum Start. Nach kurzem Warten durften wir uns endlich in die Startaufstellung begeben. Der Beleuchtungscheck fiel sehr kurz aus. Eine Lampe vorne und hinten hätte vollkommen ausgereicht. Na dann waren wir eben die Schönsten.


Es ging los. Unter Aufsicht der Motorrad-Eskorte wurde erst einmal sortiert auf welligem Weg Richtung Süden. Wir fanden nach mehreren Fluchten nach vorne eine geeignete Gruppe. Ein wenig zu langsam, aber annehmbar, trotz katastrophalem Fahrstil. Sehr unrythmisch, schlenkernd und irritierend. Hinzukamen blendende Rückleuchten, 90er-Jahre Ballon-Jogginganzüge und die Unfähigkeit, Zweierreihen zu bilden, geschweige denn durchzuwechseln. Das Tempo war zu hoch zum Ausreißen und an den Hügeln wollten wir nicht allzu viele Körner lassen. Also hieß es, dran bleiben. Ich hatte Hoffnung, dass einige der schlechten Fahrer bei der ersten Verpflegungstation (Depot), nach 54 km Halt machen und Stefan, Basti und ich wie abgesprochen einfach vorbeifahren könnten.
  

Die Hoffnung war vergebens. Meine Laune wurde mieser. Nach weiteren zehn Kilometern gab ich Stefan und Basti zu verstehen, dass ich hier weg wollte und wir flüchteten nach vorne. Hin und wieder ging ein Blick kurz nach hinten, um sicher zu gehen, dass das Späninger Trio noch vollzählig war. Ein paar Kilometer und Hügel später wollte ich mal nachschauen, ob die Flucht geglückt war. Auf den ersten Blick war es das ganz und gar nicht. An uns Dreien klebten acht oder zwölf weitere Leute, alle in unterschiedlichen Farben gekleidet. Also wohl keine geschlossene Gruppe. 

Es sollte sich aber heraustellen, dass dieser "Rattenschwanz" diesen Tag einmalig machen würde. Neun der Fahrer schlossen genau in dem Moment zu uns auf, als wir ausgerissen waren. Sie waren Hamburger und litten zuvor ebenso unter einer schlechten Gruppe. Im ersten Depot verschafften sie sich Abstand und kamen so zu uns. 
Ohne Absprache funktionierten wir nun als Zwöf-Mann-Gruppe und fuhren mit der nun aufgehenden Sonne im Rücken in Richtung zweitem Depot. Dort angekommen gab es Milchbrötchen und Kaffee auf die Hand und wir stellten uns erst einmal einander vor. Als wir dann jedoch unsere Gruppe mit dem Jogginganzug sahen, beschleunigten wir das erste Frühstück und machten uns wieder auf den Weg.

Zwar wärmte die Sonne teilweise im Rücken, jedoch ging es in ein paar Senken, in denen noch der Nebel stand und die Temperatur auf 5°C sank. Wir sehnten uns schon nach wenigen Kilometern nach dem nächsten, wärmenden Kaffee. Außerdem sollte es auch Köttbullar geben. Wir verständigten uns mit den Hamburgern und waren uns einig gemeinsam weiterfahren zu wollen, was auch die Pausen in den Depots einschloss.

Depot 3 bei Kilometer 104 wartete auch noch mit Kartoffelbrei, warmer Blaubeersoße, Salzgurken und Knäcke auf. Einzig der Geruch nach Maschinenöl störte das leckere Essen in der Werkhalle ein wenig.




Das zweite Drittel

Nachdem wir also schon auf den ersten 104 Kilometern einen 32er Schnitt hatten, obwohl wir ihn recht locker (auf Empfehlung einiger alter Herren) angegingen, hatten wir nun unsere Fahrtrichtung geändert. Es ging nun nach Norden, ebenfalls immer nach am See entlang. Die Wettervorhersage kündigte keinen bis geringen Wind aus Süden an, der im Laufe des Vormittags auf 10 bis 15 km/h zunehmen sollte. Zunächst kamen noch ein paar Hügel, bei denen es darum ging, unsere Zwölf-Mann-Truppe beisammen zuhalten, aber ab Kilometer 140 war es dann so flach, dass wir uns super darauf konzentrieren konnten, das Tempo wieder ein wenig zu erhöhen, was das Durchschnittstempo locker auf über 32 km/h hob.






So hangelten wir uns dann von Depot zu Depot. Die Entfernungen zur jeweils nächsten Station lagen zwischen 13 und 40 Kilometern, was auch nie das Problem aufkommen ließ, die restliche Strecke bis ins Ziel zu fürchten. Es gab immer reichlich zu essen und zu trinken und an einigen Stationen immer wieder kleine Höhepunkte wie schöne Aussichten oder leckere Lasagne. 


An den Straßenrändern lagen manchmal Teilnehmer, die neben ihren Rädern auf der Böschung schliefen. Wir hingegen genossen die Landschaft um den See herum lieber radelnd und freuten uns über die strahlende Sonne.

  

Hin und wieder überholten uns Gruppen, die es auf Bestzeiten abgesehen hatten. Bei ihnen wurde vorne mit hohem Tempo schwer gearbeitet. Bei einigen konnte man dann auch die Startzeiten wie 4:28 Uhr an den Startnummern ablesen. Aber auch wir überholten viele Gruppen und Einzelkämpfer. Dabei fiel besonders ein älterer Herr auf einem knallroten Damenrad mit Körbchen und Kamera auf, der uns immer wieder in den Depots überholte und den wir ebenso immer wieder auf der Strecke überholten.



Ungefähr bei Kilometer 220 ging es dann wieder eine kleine Rampe hinauf. Ich fuhr gerade etwas weiter vorne in der Gruppe, so dass ich nicht mitbekam, dass bei Stefan die Kette herunter gesprungen war, aber ein anderer Fahrer, der sich kurzzeitig bei uns drangehangen hatte, sagte uns vorne Bescheid. Da das nächste Depot nicht weit war, wollten wir uns dort wieder treffen und ich ließ mich fallen. Basti war derweil schon bei Stefan und fuhr ihn wieder ran. Bis zum Depot machten wir dann zu dritt Tempo und konnten die Hamburger bis zum Abzweig wieder einholen. 


Bis Kilometer 260 rollte es sich locker vor sich hin. Der Tacho zeigte selten weniger als 30 km/h. Dann ging es wieder in Richtung Süden auf den letzten Abschnitt. Es kamen noch zwei Depots aber auch wieder ein paar Hügel. Die Strecke ist hier nicht komplett für den Verkehr gesperrt gewesen und wurde hin und wieder zusammengeführt. Generell muss man noch erwähnen, dass alle Autofahrer sehr rücksichtsvoll gefahren sind. Leider waren diese Zusammenführungen nicht immer so gestaltet, dass sie optimal einsehbar waren und so kam es, dass ich an einer unübersichtlichen Stelle es gerade so noch schaffte, einem Pylonen auszuweichen. Ein uns unbekannter hinter mir Fahrender hatte da weniger Glück. Er erwischte den Pylonen voll und stürzte. Dahinter fuhr Sonja aus dem Hamburger Team und stürzte ebenfalls, jedoch zum Glück weich auf den vor ihr liegenden. 

Dennoch war der Schreck groß und wir machten kurz Halt am Wegesrand. Eine kleine Schürfwunde, eine leicht geprellte Hüfte und ein bisschen Schockzustand. Ansonsten hatte es auch das Fahrrad nur mit wenigen Schrammen überstanden. Wir rollten ruhig zum vorletzten Depot. Um den Druck auf Sonja nicht zu erhöhen, wollte sie mit drei weiteren Hamburgern locker zuende fahren. Der Rest machte geschlossen weiter Tempo.

Zielsprint auf schwedisch

Die Sonne knallte mittlerweile bei 29°C von oben auf unsere Helme doch der Fahrtwind machte Laune und nach ein paar Kilometern war der Sturz verdaut. Es ging zügig weiter. Bei Kilometer 273 konnten wir das Ziel so langsam schon erahnen. Ich hatte mich vorne mit einem Hamburger verständigt, zum Ende nochmal das Tempo hochzuschrauben. Bis auf ein paar kleine Wellen, an denen die beiden Hamburger Bergziegen an uns vorbei sprinteten, funktionierte das auch super und unsere nun acht Mann starke Gruppe blieb gut zusammen. Wir überholten nun noch mehr Radgruppen und Einzelkämpfer, so dass der Blick nach hinten umso öfter notwendig wurde, um sicherzugehen, dass auch an engeren Stellen niemand eingeklemmt wurde. 

Irgendwann kam dann Motala in Sicht und der Puls stiegt ebenso kontinuierlich an, wie die Ziellinie sich näherte. Zeitweise wurde es mit anderen Gruppen noch richtig eng, als wir etwa in einem Kreisverkehr überholten. Etwa 1,5 Kilometer vor dem Ziel hatte ich Probleme, Basti und Stefan im Auge zu behalten und gleichzeitig weiter Tempo zu machen, weil es auf der Strecke recht voll wurde. Einer der beiden hageren Hamburger kam nach vorne und trieb meinen Kollegen in erster Reihe an, noch mehr Gas zu geben und schneller zu machen.



Ich ahnte, worauf das hinauflaufen sollte, und wollte beim "kleinen Zielsprint" mitmachen. Ich nahm noch einmal Reißaus und versteckte mich hinter den beiden. 700 Meter vor dem Ziel blickte ich mich noch einmal nach hinten um. Alle waren noch dabei. Also dann aufs Ziel konzentrieren. Es kam noch eine Kurve, doch durch das umschauen war nach vorne schon eine Fünf-Meter-Lücke entstanden. Laut Tacho waren es nur noch ein paar hundert Meter. Ich gab Gas und sprintete noch einmal an den beiden vorbei, den Blick nach vorne gerichtet, um die Ziellinie zu finden, aber es kam und kam nichts. 

Irgendwann stellte ich fest, dass es vor mir immer voller wurde und alle um mich herum nur noch rollten. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben es geschafft. Ganz ohne Ziellinie oder großes Tamtam. Na gut, dachte ich mir. Spass hat es dennoch gemacht.

Finnisch

Wir trafen uns einige Meter vor der Medaillenvergabe, freuten uns wie Bolle über diese grandiose Tour und umarmten uns vor Freude. Es hat einfach so vieles gepasst, was die Ausfahrt super-optimal gemacht hat. Mit Medaillen folgten wir dem Strom aus Radfahrern. Stefans Freundin Julia nahm uns im Ziel in Empfang. Nach dem Gruppenfoto ging es zur Freibierausgabe, bei der sich alle gut eindeckten. 



Mittlerweile waren dann auch die anderen vier Hamburger angekommen und wir stießen noch gemeinsam an. Dann machten wir uns wieder auf den Weg durch Motala zu unserem Zeltplatz. Ein guter Schlaf war uns für die kommende Nacht sicher.